Alternative für Deutschland

Eine Chance für Deutschland und Europa – und darüberhinaus

Ein Artikel im Kompendium der marktwirtschaftlich-sozialökologischen Ökonomik

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Zentrale Fragen angesichts der neoliberalen Krise:
Wie sind Beschäftigung und faire Einkommen zu sichern?
Wie kann die Umwelt effektiv geschützt werden?
Wie ist die wirtschaftliche Globalisierung zu gestalten?
Welchen Beitrag kann die Wirtschaftswissenschaft leisten?
Welche Aufgaben muss die Wirtschaftspolitik wahrnehmen?
Wie ist die Wirtschaftspolitik demokratisch zu legitimieren?

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Inhaltsverzeichnis

  1. Überblick
  2. Die Ausgangslage in EU und Eurozone
    > Einige Grundsätze
    > Die auf Zentralismus angelegten europäischen Verträge
    > Die Konstruktionsfehler der Eurozone
    > Die ernüchternde politisch-ökonomische Analyse
  3. Herleitung einer zukunftsfähigen Wirtschaftsordnung
    > Außenwirtschaftliche Prinzipien
    > Binnenwirtschaftliche Prinzipien
    > Supranationale (EU-) Prinzipien
  4. Dringlichkeit des Übergangs zu einer zivilisierten Wirtschaftsordnung
    > Bedingungen und Reihenfolge der Austritte aus der Eurozone
    > Die für Deutschland bestehenden Haftungsrisiken
  5. Zwölf Schritte des Übergangs zu einer zukunftsfähigen Ordnung


Hinweis: Dieser Artikel nimmt Bezug auf die ursprüngliche, von Bernd Lucke und anderen gegründete AfD, deren einzigartiger programmatischer Schwerpunkt auf der Lösung der Eurokrise lag. Ein Bezug zur heutigen, Nach-Lucke-Partei soll hier ausdrücklich nicht hergestellt werden.

1. Überblick

Die ursprüngliche Alternative für Deutschland war die erste und bislang einzige Partei, die sich eine an den Wurzeln ansetzende Lösung der Eurokrise auf die Fahnen geschrieben hatte. Eine Sensation wurde daraus nur deshalb, weil das Krisenmanagement von Regierung und Opposition aberwitzige Züge angenommen hatte und eine existentielle Gefahr heraufbeschwörte, und natürlich noch immer tut. Die im damaligen Programm der Partei genannten ersten Schritte sind dagegen ökonomisch fundiert und geeignet, die Grundlage für eine zukunftsfähige Wirtschaftsordnung in Deutschland, in Europa und darüberhinaus zu bilden.

2. Die Ausgangslage in EU und Eurozone

Einige Grundsätze

Die Gestaltung und Fortschreibung einer zukunftsfähigen nationalen Wirtschaftsordnung setzt zweierlei voraus:

  1. eine rechtsstaatlich-demokratisch verfasste Ordnung und
  2. eine subsidiäre politische und wirtschaftspolitische Struktur, in der die Bürger auf jeder Ebene, von der kommunalen bis hinauf zur nationalen, ihre der jeweiligen Ebene angemessenen Angelegenheiten in dezentraler Autonomie und kulturspezifischer Egenart entscheiden und regeln können.

Die alle Ebenen einschließende politische Autonomie eines Nationalstaates ist wiederum Voraussetzung

  1. für eine den Traditionen gemäße eigenständige Entwicklung,
  2. für eine verantwortliche, auf Augenhöhe stattfindende Mitwirkung auf supranationaler (europäischer) Ebene, und
  3. für einen selbstbestimmten, auf gegenseitige Gewinne angelegten Außenhandel mit anderen Volkswirtschaften.

Eine zukunftsfähige supranationale (europäische) Wirtschaftsordnung kann nur etabliert werden, wenn sich nationale Volkswirtschaften zusammenfinden, die über zukunftsfähige Ordnungen verfügen oder diese anstreben und gewillt sind, ihren nationalen Ordnungen unter Beibehaltung ihrer Autonomien und Eigenarten ein gemeinsames Dach zu geben. Für die einzigartige Vielfalt Europas, die sich aus eigenständigen ethnischen und kulturellen Entwicklungen speist, heißt das: Das gemeinsame Dach kann nur positive Wirkung entfalten, wenn es als Fortsetzung der nationalen subsidiären Strukturen und Verantwortlichkeiten gestaltet ist. Und seine auf Integration zielende Aufgabe kann es deshalb nur sein, Vereinbarungen über normative Vorgaben zu treffen, die auf gemeinsamen Werten beruhen, gemeinsamen Interessen dienen und von den Nationalstaaten in eigener Regie umgesetzt werden: zum Beispiel Vereinbarungen zur Gestaltung des internen und externen europäischen Außenhandel, aber auch zur gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik oder zu ökologischen Zielen. Zentrale Vollmachten zum Durchgriff auf nationale Ebenen verbieten sich hingegen.

Die auf Zentralismus angelegten europäischen Verträge

Schon im Vertrag von Maastricht von 1992 ist der undifferenzierte EU-Zentralismus angelegt, speziell mit der Stärkung des EU-Parlaments, der Verpflichtung zur Einführung einer gemeinsamen Währung und der Defizitquote von 3 % sowie der Schuldenstandsquote von 60 %. Damit sind die ersten verhängnisvollen Schritte auf dem Weg zu einem zentralistischen Bundesstaat eingeleitet, allerdings noch entschärft durch das Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip, das dann jedoch 2007 im Vertrag von Lissabon durch zahlreiche andere Vereinbarungen verwässert als reines Lippenbekenntnis endet.

Mit dem Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB), die damit vertragswidrige Haushaltsfinanzierung betreibt, den Euro-Rettungsschirmen, die gegen die Nicht-Beistands-Klauseln (no-bailout rule) der europäischen Verträge verstoßen, und dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB), das für den Ausgleich von Leistungsbilanzdefiziten missbraucht wird (Stichwort: Target2-Salden), setzt sich seither die Zentralisierung fort. 2012 leitet dann der Fiskalpakt die Zusammenführung der Finanz- und Wirtschaftspolitiken mit dem Ziel einer Fiskalunion und EU-Wirtschaftsregierung ein, überträgt die nationalen Budget-Hoheiten auf die Gemeinschaft, senkt die Defizitquote auf 0,5 % und ernennt den EU-Gerichtshof zur letzten, Zwangsgelder verhängenden Instanz in Defizitverfahren gegen die Mitgliedsstaaten. Im selben Jahr erkennt das Bundesverfassungsgericht in einem heftig umstrittenen Urteil zur Gemeinschaftshaftung in der Eurozone erstmals den EU-Gerichtshof indirekt als übergeordnete Instanz an.

Der Rückblick beweist, dass die Eurozone von vornherein als politisches Projekt unter Ausblendung ökonomischer Vernunft angelegt war. Ökonomisch argumentierende Kritiker wurden weder damals noch werden sie heute in Entscheidungen zur Währungspolitik einbezogen. So ist die Eurozone, und teils auch die restliche EU, vertragswidrig Schritt für Schritt in eine Haftungs- und Transferunion verwandelt worden. Die kategorische Verknüpfung von Risiko und Haftung, die für den kleinsten wirtschaftlichen Akteur gilt, wird für die Euroländer außer Kraft gesetzt – mit entsprechend falschen Anreizen und verheerenden Folgen.

Der Zentralismus wird getragen von einer Symbiose bürokratischer und wirtschaftlicher Eliten, die mit dem Mantra der Alternativlosigkeit die Subsidiarität zu umgehen und die demokratischen Institutionen zu ihrem eigenen Vorteil zu entmachten suchen. Die Chance, die europäische Vielfalt als historisches Erbe und Quelle des Fortschritts und der gegenseitigen Befruchtung zu bewahren und sie als Fundament eines demokratischen europäischen Staatenbundes zu nutzen, ist damit vorerst vertan worden. Für weitere Einzelheiten empfehle ich den Artikel EU: Bundesstaat oder Staatenbund?.

Die Konstruktionsfehler der Eurozone

Bezüglich der Realwirtschaft: Die Entwicklung in der wirtschaftlich äußerst heterogenen Eurozone zeigt überdeutlich, dass allein der Wegfall der außenwirtschaftlichen Autonomie der Mitgliedsstaaten durchschlagende Wirkung auf deren binnenwirtschaftliches Gefüge und in Folge auf alle politischen und gesellschaftlichen Bereiche hat. Im Handel zwischen unterschiedlich entwickelten Volkswirtschaften, der in Preisen einer gemeinsamen Währung als Freihandel durchgeführt wird, gewinnen zunächst die produktiveren (Export-) Länder, während die weniger produktiven (Import-) Länder zu Verlierern werden. Sobald Letzere in Haushalts- und Zahlungsbilanzdefiziten versinken und ihre Importe nicht mehr bezahlen können (und spätestens, wenn die Rettungsschirme versagen), werden auch die Gewinner die Folgen des produktiven Ungleichgewichts zu spüren bekommen.

Unabhängig von den ungleichen Produktivitätsniveaus sind alle Länder der Eurozone, auch Deutschland, von den typischen Begleiterscheinungen eines ungeregelten Freihandels betroffen: der Verdrängung von Unternehmen, die zwar im Binnenwettbewerb, aber nicht im Außenwettbewerb mit (absoluten) Preisen in supranationaler Währung bestehen können; der kostenbedingten territorialen Konzentration von Produktionskapital und Produktionen – einschließlich der strukturellen Verödung in der geographischen Fläche –; sowie der Zunahme von Arbeitslosigkeit, prekären Arbeitsverhältnissen und Armut. Erschwerend kommt hinzu, dass über die Eurozone hinaus auch im globalen Dollarraum Verdrängungswettbewerb herrscht und die Euroländer somit doppelt belastet werden.

Zum Verständnis der Doppelbelastung: In der Eurozone sind naturgemäß alle Märkte, nämlich Finanz-, Güter-, Dienstleistungs- und Arbeitsmärkte, vollständig dereguliert, während der Dollarraum mit Ausnahme der Arbeitsmärkte »nur« weitgehend dereguliert ist. Die negativen Auswirkungen beider Währungsräume haben gleichwohl in etwa dasselbe Ausmaß – und ihre Wirkungen addieren sich –, obwohl es im Dollarraum noch Preisrelativierungen zwischen nationalen Währungen (einschließlich des Euro) und dem Dollar gibt, die aber wegen der chaotischen Kursbewegungen infolge massiver Devisenspekulation für einen von Verdrängungen freien Wettbewerb nicht taugen, eher erzeugen sie zusätzliche Unsicherheit, und letztlich zählt im globalen Wettbewerb nur der Preisvorteil in Dollar.

Bezüglich der Finanzwirtschaft: Mit Beginn der Deregulierung der Finanzmärkte in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts haben Banken und andere Finanzinstitute ihr geschäftliches Spektrum immer mehr globalisiert. Die Schwierigkeit, im globalen Umfeld Risiken realistisch einzuschätzen, hat 2007/2008 zur Finanzmarktkrise und der anschließenden Weltwirtschaftskrise geführt. Die Krisenerfahrung war jedoch nicht durchschlagend, auch weil eine beherzte Regulierung des Bankensektors nicht in Angriff genommen wurde. Die Banken in den vormaligen Hochzinsländern der Eurozone konnten sich zudem infolge der Konvergenz der Zinssätze günstiger refinanzieren und engagierten sich weiterhin in riskanten Geschäften. Für sie bestand ein weiterer Anreiz in der durchaus realistischen Vermutung (die sich dann ja auch bestätigt hat), notfalls durch das Zentralbanksystem der Eurozone (ESZB) vor einer Insolvenz bewahrt zu werden. Die geplatzten Immobilienblasen in Irland und Spanien waren eine Folge des dadurch beflügelten Leichtsinns des Bankensektors dieser Länder, aber auch vormalige Niedrigzinsländer wie die Niederlande sind gegen Blasenbildung nicht mehr immun.

Bezüglich des Zentralbanksystems: Das Europäische System der Zentralbanken, das bei einheitlicher Währung unumgänglich ist, verwehrt den Einzelstaaten eine eigenständige, ihrer wirtschaftlichen Entwicklung angemessene Wechselkurspolitik und Geldpolitik (Zins- und Geldmengenpolitik). Bei gegebener Inhomogenität der Eurozone hat das ESZB keine andere Wahl, als eine Politik zu betreiben, die in Summe aller Euroländer den geringsten Schaden verursacht. Dass der Schaden für einzelne Länder an die Substanz gehen kann, beweisen die entstandenen Zwänge für Vertragsverletzungen und Rettungsmaßnahmen. Zudem werden die Entscheidungen im ESZB sehr stark von den nationalen Loyalitäten seines Personals beeinflusst, besonders bezüglich der vertragswidrigen Rettungsmaßnahmen. Auffälligstes Indiz ist der Ankauf italienischer Staatsanleihen im Wert von 102 Mrd. Euro durch die EZB unter ihrem italienischen Präsidenten Mario Draghi. Von einer gesamteuropäischen Loyalität auszugehen erweist sich als unrealistisch, wenn nicht naiv. Wegen der national unterschiedlichen ökonomischen Sichtweisen und Interessen mangelt es der Euro-Geldpolitik an Verlässlichkeit, auch im Außenverhältnis zum Rest der Welt.

Bezüglich der Fiskalpolitik: Eine grundsätzliche Einschränkung besteht für die Euroländer zunächst darin, dass sie keine umfassende eigenständige Fiskalpolitik mehr betreiben können, weil die Geldpolitik vom ESZB bestimmt wird und auch eine konjunkturelle Steuerung mittels Wechselkursanpassung innerhalb der Eurozone naturgemäß nicht möglich ist. Verbleibt im wesentlichen nur die restliche, unzureichende Steuerung der Ein- und Ausgaben der staatlichen Haushalte. Die entgleitet aber wegen der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der neoliberalen Real- und Finanzwirtschaft in ein dauerhaftes, keinesfalls strategisch begründetes Deficit Spending mit ansteigender staatlicher Verschuldung. Wiederum bieten dabei die Konvergenz der Zinssätze in der Eurozone und der vermutete und schließlich auch erfolgte finanzielle Beistand durch die Gemeinschaft unheilvolle Anreize, die Verschuldung immer weiter zu überziehen. Besonderes Unheil droht Ländern, die neben einem Haushalts- auch noch ein Leistungsbilanzdefizit angesammelt haben, weil diese Kombination auf Auslandsverschuldung hinweist und mit eigenen Mitteln innerhalb der Eurozone nicht zu überwinden ist.

Die Rettungsmaßnahmen, die überschuldeten Ländern angeboten werden, sind an Sparmaßnahmen der Staatshaushalte (Austeritätspolitik) gebunden und treiben damit vor allem diejenigen Länder noch tiefer in die Rezession, die ein doppeltes Defizit aufweisen. Spätestens an diesem Punkt offenbart sich der ursprüngliche, in der Heterogenität liegende Konstruktionsfehler der Eurozone, der dann im späteren »Pragmatismus« der Vertragsverletzungen ins Absurde gesteigert wurde und die Währungsunion nun in einen neoliberalen Teufelskreis befördert hat (siehe dazu auch den Artikel Neoliberaler Teufelskreis).

Uneinsichtigkeit und kein Ende: Statt sich mit den Konstruktionsfehlern der Eurozone auseinanderzusetzen und die Folgen der Vertragsverletzungen zu überdenken, sind Bürokraten und Industrielobbyisten bemüht, das politisch-großindustrielle Euro-Projekt um jeden Preis zu retten. Ihre Indoktrination bedient sich des üblichen Tricks, Ursache und Wirkung zu vertauschen. So ist es ihnen gelungen, die Eurokrise als Staatsschuldenkrise zu verkaufen und so die vertragswidrigen Rettungsmaßnahmen zu rechtfertigen und die Vernebelung mit dem Fiskalpakt fortzusetzen.

Die Indoktrination ist an Unredlichkeit nicht mehr zu überbieten, wenn die Bundeskanzlerin behauptet: »Scheitert der Euro, dann scheitert Europa«. Wie so oft, wenn im Hintergrund eigennützige Interessen im Spiel sind, trifft das genaue Gegenteil zu: Europa ist auf dem besten Weg, am Euro zu scheitern!


Der Euro spaltet Europa! Der Euro ist der Feind subsidiärer, demokratischer Strukturen! Der Euro ist das größte Hindernis auf dem Weg zu einer versöhnlichen Integration Europas!

Fazit: Die Eurokrise lässt sich mit zentralem Dirigismus nicht überwinden. Der Sumpf aus zentraler Bürokratie und industrieller Einflüsterung muss zum Thema gemacht und trockengelegt werden. Politisches und wirtschaftspolitisches Umdenken wird immer dringlicher.

Die ernüchternde politisch-ökonomische Analyse

AfDEurokrise01Die Eurozone ist aufgrund der genannten Konstruktionsfehler sowohl mit als auch ohne finanziellen Beistand und Gemeinschaftshaftung zum Scheitern verurteilt. Der finanzielle Beistand treibt die Empfängerländer tiefer in die Rezession, zerstört ihre Wertschöpfung und ihre Arbeitsplätze, kettet sie an den Euro und schafft Anreize, sich im Zustand der Entmündigung, Fremdbestimmung und fortgesetzten Alimentierung häuslich einzurichten. Den Geberländern bürdet der finanzielle Beistand steigende Haftungsrisiken auf, kettet sie aber infolge ihrer einseitigen Exportabhängigkeit ebenfalls an den Euro, während ihre sonstige Wirtschaft stagniert, ihre wirtschaftlichen Strukturen flächendeckend erodieren und ihr soziales Gefüge in Schieflage gerät.

Die europäischen Verträge erweisen sich als realitätsfern, ihre Verletzung ist unvermeidlich. Die Rettungsmaßnahmen gehen an der Ursache vorbei, entmündigen die strauchelnden Länder, spalten die Eurozone, beschädigen die gesamte EU, untergraben die gebotene Subsidiarität und Demokratie und verhindern eine nachhaltige, von den Bürgern getragene Integration Europas.

An diesem Punkt ist nun festzuhalten, dass die AfD mit ihrer zentralen Forderung, zu nationalen Währungen zurückzukehren, auf Anhieb den Kern des europäischen Problems trifft.

Die zweite von der AfD genannte Option, die Eurozone in kleinere supranationale Währungsräume aufzuteilen, Stichwort: Nord- und Südeuro, halte ich für ähnlich ungeeignet wie den gegenwärtigen Supranationalismus der Eurozone. Denn warum sollten sich unterschiedlich strukturierte Länder in einer von Himmelsrichtungen bestimmten Währungsunion zusammenschließen und auf außenwirtschaftliche Anpassungen durch Wechselkurse, Handelskontingente und Zölle verzichten? Dafür gibt es keinen Grund. Deshalb blende ich diese Option aus.

3. Herleitung einer zukunftsfähigen Wirtschaftsordnung

Ich werde in diesem Abschnitt aus der zentralen Forderung der AfD die Prinzipien für eine zukunftsfähige nationale und europäische Wirtschaftsordnung herleiten und mich auf das Wesentliche beschränken, ohne dabei zunächst auf die Maßnahmen einzugehen, die für den Übergang erforderlich sind. Die folgen dann in den letzten beiden Abschnitt.

Die Prinzipien sind anzuwenden auf die Zeit, nachdem Nationalstaaten ihre politische und wirtschaftspolitische Souveränität von der EU zurückgewonnen und nationale Währungen (wieder) eingeführt haben. Und: die undemokratischen, überflüssig gewordenen EU-Institutionen aufgelöst sind: Europäischer Rat, Europäische Kommission, Europäisches Parlament, Ministerrat, Europäische Zentralbank und Europäischer Gerichtshof (siehe dazu den Artikel Undemokratische EU-Organe). Die Institutionen der neuen, als Staatenbund zu gestaltenden EU, die den zukunftsfähigen Prinzipien entsprechen, beschreibe ich ebenfalls im letzten Abschnitt.

Außenwirtschaftliche Prinzipien

Die EU-Länder stellen ihre Außenwirtschaft auf einen Handel und Wettbewerb mit relativen Preisvorteilen um, der statt Verdrängungen gegenseitige Handelsgewinne ermöglicht. Die Umstellung erfolgt zunächst nur innerhalb der EU, später auch mit Partnern außerhalb der EU.

Kern des Handels mit relativen Preisvorteilen sind periodisch festzulegende feste Wechselkurse, mit denen die bestehenden durchschnittlichen Preisunterschiede (und indirekt die durchschnittlichen Produktivitätsunterschiede) neutralisiert werden. Die Wechselkurse ermitteln die EU-Länder zu Beginn, indem sie bilateral Warenkörbe ihrer voraussichtlichen Handelsprodukte (Güter wie auch Dienstleistungen) zusammenstellen und das Verhältnis der Durchschnittspreise in Landeswährung als aktuellen Wechselkurs festlegen. Einseitig zu handelnde Spezialitäten müssen in den Warenkorb des importierenden Landes mit einem Schätzpreis eingehen. Ein Übergewicht eines Landes bei Schätzpreisen, deren Preisniveaus bei technologischem Rückstand relativ hoch anzusetzen sind, verursacht eine zusätzliche Abwertung der eigenen Währung, verbilligt die Exporte, verteuert die Importe und schafft damit Anreize, in nicht beherrschte Technologien zu investieren, um langfristig im Wettbewerb mit relativen Preisen zu bestehen und ausgewogene Leistungsbilanzen zu erzielen. Zukünftig passen die EU-Länder die Kurse auf Basis der tatsächlichen Warenkörbe und der Preisentwicklung regelmäßig an.

Die EU-Länder gestehen sich gegenseitig zu, Importe ergänzend zu den durchschnittlichen Preisrelativierungen der Wechselkurse mittels Zöllen und Mengenbeschränkungen, und bei einseitigen Importen gegebenenfalls auch mittels Subventionen, konstruktiv in den Wettbewerb ihrer Binnenwirtschaften einzubinden, so dass Binnenanbieter durch Importe zwar gezielt herausgefordert, nicht aber ganze Branchen verdrängt werden. Das gilt auch für Dienstleistungen wie etwa Tourismus, indem Länder zum Beispiel Geldsorten durch Kursaufschläge verteuern, um die eigene Tourismusindustrie zu schützen. Bilateral und multibilateral führt das zu ausgewogenen bzw. verträglichen Touristenströmen.

Die multibilaterale Handelsstruktur, die durch kalkulierte bilaterale Wechselkurse sowie autonom festzulegende Zölle und Handelskontingente entsteht, erlaubt es allen Ländern, ihre Handelsgewinne qualitativ und preislich zu optimieren, indem sie jeweils von dem Handelspartner importieren, der hohe Qualität zu einem günstigen Preis anbietet.

Zum besseren Verständnis des Außenhandels auf der Grundlage relativer Preisvorteile empfehle ich die Artikel Zukunftsfähiger Außenhandel und Komparativer Vorteil – aufgewertet.

Binnenwirtschaftliche Prinzipien

Erst die geregelte Außenwirtschaft schafft für die EU-Länder die Voraussetzung, ihre binnenwirtschaftlichen Strukturen hinsichtlich sozialer Erträge (vor allem Vollbeschäftigung) und geringster ökologischer Kosten, nachhaltigem Wohlstand und nachhaltiger gesellschaftlicher Wohlfahrt zu gestalten.

Kern zukunftsfähiger Binnenwirtschaft ist die Gestaltung und unablässige Rückführung der Wirtschaft in subsidiäre Strukturen, ein Prozess der als dynamische Subsidiarisierung bezeichnet werden kann. In diesem Prozess werden mittels progressiver Besteuerung starke Anreize und letztlich Zwänge geschaffen, Betriebsgrößen auf ein Maß zurückzuführen, das der jeweilige technologische Entwicklungsstand erlaubt. Diese qualifizierte Dezentralisierung verhindert unsinnige, externe Kosten erzeugende Konzentrationen, bewirkt eine Re-Industrialisierung der verödeten geographischen Fläche, schafft wirtschaftliche Vielfalt und Arbeitsplätze mit unterschiedlichsten Anforderungen, begünstigt die Nutzung und den Substanzerhalt lokaler und regionaler Ressourcen und schafft sogar, mittels differenzierter progressiver Besteuerung, einen vertikalen Wettbewerb zwischen dezentralen arbeitsintensiven und zentralen kapitalintensiven Produktionen.

Ganz entscheidend: Der Onlinehandel muss in die subsidiären Strukturen eingebunden sein. Dezentrale Anbieter werden dadurch in die Lage versetzt, Präzens- und Onlinehandel bei einheitlicher Preisgestaltung zu kombinieren. Einkauf und Lagerhaltung können, innerhalb der subsidiären Strukturen, spezialisierten Genossenschaften übertragen werden. Großanbieter, auch global agierende, können ihre Geschäftsmodelle für Einkauf und Vertrieb als Franchise-Geber in Lizenz an dezentrale Franchise-Nehmer vergeben. So bleibt das Internet globales Informationsmedium, wandelt sich jedoch zu einer Plattform des dezentralisierten (subsidiarisierten) Handels.

Wohlstand und Wohlfahrt betreffend erübrigt sich bei subsidiärer Strukturierung eine nachträgliche Umverteilung durch finanzielle Transferleistungen (Stichwort: Hartz IV), stattdessen wird von vornherein eine leistungsgerechte Gleichverteilung von Einkommen, Vermögen und Produktionskapital durch flächendeckende Teilnahme (Vollbeschäftigung) und Teilhabe aller Bürger am Wirtschaftsleben erreicht. Indem politische und wirtschaftliche Subsidiarität Hand in Hand gehen, sind die Bürger motiviert, in ihrer unmittelbaren Umgebung Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt zu übernehmen.

Das binnenwirtschaftliche Gleichgewicht wird gesteuert, indem vielfältige subsidiäre Strukturen zwecks leistungsgerechter Gleichverteilung gestaltet, Löhne und Arbeitszeiten dem Produktivitätsfortschritt angepasst, externe soziale und ökologische Kosten zwecks qualitativem Wachstum in die Preise einbezogen, Ein- und Ausgaben des Staatshaushalts sowie Leitzinsen und Geldmenge zur konjunkturellen Steuerung genutzt und ausgewogene Zahlungsbilanzen (Handels- plus Leistungsbilanzen) in der Außenwirtschaft hergestellt werden. Mehr dazu in den Artikeln Allgemeines Gleichgewicht sowie Expansion und Wachstum.

Subsidiäre Strukturen eröffnen den EU-Ländern darüber hinaus die Chance, eine weitgehende strukturelle Selbstversorgung (Autarkie) in der Landwirtschaft und anderen existentiellen Sektoren und Branchen zu verwirklichen. Strukturell bedeutet, dass das Potential für Selbstversorgung zwar vorhanden ist und Importabhängigkeiten und Erpressungen von außen verhindert, aber dennoch Intra-Branchenhandel betrieben wird, um die Angebotsvielfalt zu erhöhen und die förderlichen Impulse des externen Wettbewerbs mit relativen Preisen zu nutzen.

Die Sozialpflichtigkeit von Sach- und Geldkapital, die sich aus der Ortsgebundenheit des Kapitals, speziell aus der Nutzung regionaler Ressourcen und dem Beitrag abhängig Beschäftigter ergibt, wird mittels gesetzlicher Auflagen im grenzüberschreitenden Kapitalverkehr (wieder) durchgesetzt. Transfers werden nur zugelassen, wenn in Geber- und Nehmerländern volkswirtschaftlicher Nutzen nachweisbar ist, wie er zum Beispiel im Rahmen supranational vereinbarter Projekte gegeben ist.

Austausch von Schülern, Studenten und Arbeitskräften wird zwischen Ländern im gegenseitigen Interesse gefördert. Die Zuwanderung ist dagegen an wirtschaftliche und ökologische Auflagen gebunden. Das heißt zum Beispiel,

  1. dass der sogenannte Fachkräftemangel als Begründung wegfällt, weil er den Zwängen des gegenwärtigen neoliberalen Verdrängungswettbewerbs entspringt und nationale Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen negativ beeinflusst, und
  2. dass die Bevölkerungsdichte in Europa wegen zukunftsgefährdender Umweltbelastung reduziert werden muss (ein Tabuthema). Ausnahmen gibt es bei der Gewährung von Asyl. Ziel ist eine Wirtschaftsordnung, die bei zunehmender Lebenserwartung der Menschen die Bevölkerungsdichte umweltverträglich stabilisiert, vor allem mittels Familienpolitik und geregelter Migration.
  3. Mehr dazu im Artikel Demographie und Altersvorsorge.

Die subsidiären Wirtschaftsstrukturen lassen sich über die Grenzen von Nationalstaaten hinaus fortführen, um aufwendige supranationale Projekte in die Wege zu leiten, die ein einzelnes Land nicht stemmen kann.

Siehe auch Wirtschaftliche Subsidiarität, Prinzipien Regionaler Ordnung und Nachhaltige gesellschaftliche Wohlfahrt.

Supranationale (EU-) Prinzipien

Die EU-Ebene wird reduziert und fokussiert auf die Anforderungen eines Staatenbundes autonomer Länder. Hauptsächlich werden auf der supranationalen Ebene des Staatenbundes normative Vorgaben vereinbart – in der Regel einstimmig –, die von Fachleuten weiter ausgearbeitet werden und in Projekte supranationaler Zusammenarbeit münden. Die Einstimmigkeit lässt erwarten, dass die Vorgaben, befördert durch die Zusammenarbeit, innerhalb eines bestimmten Zeitraums von allen Mitgliedern umgesetzt werden. Sanktionen bei verschleppter Umsetzung sind ausgeschlossen, weil deren Durchsetzung unter souveränen Ländern unmöglich wäre. Einziges Mittel der Disziplinierung bei wiederholter Nichtumsetzung ist der drohende Ausschluss aus dem Staatenbund.

Das Spektrum der Themen für normative Vorgaben ist weit gefächert:

  1. Regeln für den inner- und außereuropäischen Außenhandel;
  2. Empfehlungen für die Gestaltung der binnenwirtschaftlichen Strukturen, der sozialen und der ökologischen Standards;
  3. Regeln für den Verbraucherschutz und die medizinische Vorsorge;
  4. Vereinbarungen über den Austausch von Schülern, Studenten und Fachleuten;
  5. Regeln für die inner- und außereuropäische Arbeitsmigration;
  6. Regeln für den inner- und außereuropäischen Kapitalverkehr;
  7. Maßnahmen gegen Steuerflucht;
  8. Absprachen über außenpolitisches Vorgehen und Militäreinsätze;
  9. Initiierung aufwendiger Forschungs- und sonstiger Projekte;
  10. Vereinbarungen über Entwicklungshilfe und gemeinsame Entwicklungsprojekte.

Quantitative Vorgaben für ökonomische Größen, die an die Entwicklung der Produktivität gebunden sind, wie etwa das Lohnniveau, oder der Steuerung des wirtschaftlichen Gleichgewichts dienen, wie etwa die Höhe der Unternehmenssteuern, des Haushaltsdefizits und der staatlichen Schuldenstandsquote (Maastricht-Kriterien), sind mit den staatlichen Souveränitäten und Autonomien, den dezentralen wirtschaftlichen Verantwortlichkeiten und der Vielzahl der kulturspezifischen Entwicklungspfade im Staatenbund unvereinbar.

Weitere Artikel zum Thema: Heterogener EU-Binnenmarkt, Eurokrise oder EU-Krise? und Politische versus wirtschaftliche Integration.

4. Dringlichkeit des Übergangs zu einer zivilisierten Wirtschaftsordnung

Wie weit die Länder der Eurozone infolge des internen Euro- und des externen Dollar-Wettbewerbs schon auseinandergedriftet sind, lässt sich an dem wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Indikator ablesen: der Quote der Jugendarbeitslosigkeit. Diese Quote zeigt nicht nur den gegenwärtigen Zustand eines Landes an, sie lässt auch dessen zukünftige Entwicklung erahnen.

Die für November 2014 von Eurostat veröffentlichten Quoten der Jugendarbeitslosigkeit der Euroländer kann man nicht anders als skandalös bezeichnen. Am oberen Ende der Skala liegen Spanien mit 53,5 %, Griechenland mit 49,8 %, Italien mit 43,9 % und Portugal mit 34,5 %, am unteren Ende Deutschland mit 7,4 %, Österreich mit 9,4 % und die Niederlande mit 9,7 %.

Wenn man die Zahlungsbilanz als zweitwichtigsten Indikator hinzunimmt, stellt man fest, dass allein drei Länder, nämlich Deutschland, Italien und die Niederlande, laut Eurostat im 4. Quartal 2014 zusammen einen Überschuss von 94,2 Mrd. Euro erwirtschaftet haben, mehr als die Eurozone insgesamt mit 85,4 Mrd. Euro. Das heißt, die übrigen Euroländer haben in den drei Monaten in ihren außenwirtschaftlichen Beziehungen in Summe ein Defizit von 8,8 Mrd. Euro angesammelt. Die Zahlen beweisen, dass den Ländern im neoliberalen »Freihandel« mit Euro und Dollar die Instrumente fehlen, ihre Zahlungsbilanzen autonom ins Gleichgewicht zu bringen.

Ein dritter, Unheil verkündender Indikator erschließt sich aus der Kombination von langfristigem Zahlungsbilanzdefizit und hoher Staatsschuldenquote – beides zusammen bedeutet hohe Auslandsverschuldung. Frankreich, Griechenland und Portugal sind davon am stärksten betroffen. Die Auslandsschulden wären für Länder der Eurozone nur mit einer extremen Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitig extremen Sparhaushalten zu tilgen. Diese Bedingungen würden für ein großes Land wie Frankreich einen finanziellen Beistand seitens der Gemeinschaft erfordern, der über alle vorstellbaren Grenzen hinausginge und dennoch in Enttäuschung enden müsste. Es ist zu hoffen, dass dem Kontinent eine derartige Erfahrung erspart bleibt. Für Frankreich gilt, was für alle Euroländer gilt: Das Land wird sich nur mit autonomer Wechselkurs-, Geld- und Fiskalpolitik aus seiner Lage befreien können.

Angesichts der skandalösen Statistiken erscheint die Aufspaltung der Eurozone in einen Nord- und Südeuro nicht erstrebenswert. Die schwächelnden Länder in einer Währungsunion Süd zu integrieren, wird keinem der Länder einen eigenständigen Entwicklungspfad eröffnen, und auch die drei starken Länder stecken binnen- und außenwirtschaftlich in der Sackgasse, aus der sie sich nur eigenständig befreien können.

Der Zustand der Eurozone legt nahe, dass der Königsweg zu einer zukunftsfähigen Wirtschaftsordnung für alle Euroländer über die Wiedereinführung eigener nationaler Währungen führt, und dass sie damit die Voraussetzung schaffen, eine autonome Wechselkurs-, Geld- und Fiskalpolitik zu betreiben, sich mit den anderen EU-Ländern zu einem Staatenbund autonomer Staaten zusammenzuschließen und einen europäischen Binnenmarkt zu etablieren, auf dem im Wettbewerb statt Verdrängungen gegenseitige Handelsgewinne erzielt werden.

Um überhaupt den Übergang vom jetzigen in einen besseren Zustand in die Wege zu leiten, bedarf es eines unumkehrbaren Anstoßes. Die vertragswidrige Gemeinschaftshaftung, wie oben dargestellt, liefert dazu die legale Rechtfertigung. Somit ist Deutschland als größter Gläubiger aufgefordert, Verhandlungen über eine geordnete Auflösung der Eurozone und den Übergang zu einem Staatenbund in die Wege zu leiten, »indem es weitere Hilfskredite des ESM mit seinem Veto blockiert.« (Das Zitat entstammt dem Parteiprogramm der AfD.) Zugleich würden damit für die Schuldnerländer die überfälligen Anreize geschaffen, sich auf ihre Eigenverantwortung zu besinnen und im eigenen Interesse zu ihrer nationalen Währung zurückzukehren.

Bedingungen und Reihenfolge der Austritte aus der Eurozone

Der Startschuss für die Auflösung der Eurozone fällt mit der Weigerung Deutschlands, weitere Hilfskredite zu gewähren. Gleichzeitig werden alle Hilfsmaßnahmen nach den alten Bedingungen eingestellt. Ab diesem Zeitpunkt müssen die Gläubigerländer der Rettungsmaßnahmen zum einen davon ausgehen, dass die Vereinbarungen über Zins und Tilgung bereits ausgezahlter Kredite hinfällig werden, Rückzahlungen aber möglicherweise für die Zeit nach der wirtschaftlichen Gesundung der Schuldnerländer vereinbart werden können. Wenn man so will, gleicht die Auflösung der Eurozone einem Ende mit Schrecken, aber sie erlöst Europa zugleich von dem Schrecken endloser vergeudeter und zerstörerischer Rettungsmaßnahmen. Zum anderen müssen die Gläubigerländer bereit sein, während des Übergangs, der vermutlich bis zu zehn Jahre dauern wird, für die Schuldnerländer weitere finanzielle und auch personelle Hilfe zu leisten. Diese Investitionen werden sich rentieren, sobald mit den Schuldnerländern (wieder) gewinnbringender Außenhandel betrieben werden kann.

Mit Beginn des Übergangs sind die Hilfen für jedes Schuldnerland an die Bedingung geknüpft, eine eigene Währung wieder einzuführen und wirtschaftspolitische Autonomie unter Einhaltung vereinbarter Prinzipien anzustreben, wie oben im zweiten Abschnitt dargestellt. In welcher Reihenfolge die Austritte aus der Eurozone erfolgen, richtet sich nach Kriterien wie Arbeitslosigkeit, Armut, Zahlungsbilanz, Haushaltsschulden, Finanzierungsstruktur des Bankensektors, Ausmaß von Korruption und Steuerhinterziehung sowie Wirtschaftsleistung. Danach erscheint für die Austritte nach gegenwärtigem Stand diese Reihenfolge sinnvoll: Zypern, Malta, Griechenland, Slowakei, Slovenien, Estland, Luxemburg, Portugal, Irland, Belgien, Finnland, Spanien, Italien, Frankreich, Österreich, Niederlande und schließlich Deutschland.

Die kleinen Länder können gleichzeitig in den Übergang entlassen werden, die großen Länder müssen den Übergang ohne fremde Hilfe schaffen. Sollte der von Deutschland abgegebene Startschuss wider Erwarten keine Wirkung zeigen, wäre Deutschland gezwungen, die Eurozone allein und in eigener Regie zu verlassen. Das wäre jedoch nur die zweitbeste Lösung.

Die für Deutschland bestehenden Haftungsrisiken

Aus den Rettungsschirmen: Die Rettungsschirme EFSF und ESM haben bis Februar 2013 an Irland, Portugal, Griechenland und Spanien Kredite von insgesamt 185 Mrd. Euro ausgezahlt. Einschließlich weiterer fest zugesagter Tranchen erreicht das Kreditvolumen eine Höhe von rund 280 Mrd. Euro. Deutschland haftet gemäß Verteilerschlüssel mit 27 %, das sind für alle Auszahlungen und Zusagen rund 75 Mrd. Euro. Allerdings erhöht sich der deutsche Haftungsanteil automatisch, wenn andere Länder zahlungsunfähig werden – was bei Ländern, die Rettungsgelder für ihre Haushalte und ihre Banken erhalten, sehr wahrscheinlich ist.

Aus den EZB-Aufkäufen: Die EZB hat seit 2010 von Irland, Griechenland, Spanien, Italien und Portugal Staatsanleihen zum Teil gegen minderwertige Sicherheiten aufgekauft. Ende 2012 beträgt der Bestand nominal 218 Mrd. Euro. Allein die italienischen Staatsanleihen sind mit 102 Mrd. Euro vertreten. Deutschland haftet wiederum mit 27 %, das sind 59 Mrd. Euro.

Aus den Target2-Salden: Die Forderungen der Bundesbank gegenüber den anderen Nationalbanken der Eurozone aus TARGET2 betragen Ende März 2013 588 Mrd. Euro. Die Haftung Deutschlands für diese Forderungen beträgt 100 %.

Bestehende Gesamthaftung: Im Frühjahr 2013 summiert sich Deutschlands Haftung somit auf rund 720 Mrd. Euro.

Die gute Nachricht: Je früher die Eurozone aufgelöst wird, desto früher wird das Risiko weiter steigender Haftungssummen begrenzt. Mit anderen Worten: Bei einer frühen Auflösung wird der Schaden aus der Summe der bereits aufgelaufenen Kosten für Rettungsmaßnahmen und den Kosten der Einführung nationaler Währungen geringer ausfallen. Allerdings können die Gläubigerländer versuchen, im nachfolgenden Staatenbund mit den Schuldnerländern im Rahmen der notwendigen Aufbauhilfe über eine langfristige Tilgung der Schulden zu verhandeln.

Die schlechte Nachricht lautet: Bei einer unkontrollierten Auflösung der Eurozone erleiden die Gläubigerländer unwiderruflich einen Totalverlust ihrer für die Rettung gewährten Darlehen. Bei einer kontrollierten Auflösung der Eurozone müssen die Gläubigerländer auf Zins und Tilgung der dann bestehenden Haftungssummen zunächst verzichten (siehe oben).

5. Zwölf Schritte des Übergangs zu einer zukunftsfähigen Ordnung

Die folgenden Schritte gelten, soweit zutreffend, für alle aus der Eurozone austretenden Länder, wobei es ratsam ist, die oben aus den Kriterien für Dringlichkeit und Wirtschaftskraft hergeleitete Reihenfolge für Austritte einzuhalten:

1. Sicherung der Eurobestände vor dem Übergang

Vor der Wiedereinführung einer eigenen Landeswährung setzen die Länder ein Gesetz in Kraft, das den Bürgern Euro-Transfers ins Ausland verbietet und sie zur Rücküberweisung ausländischer Euro-Guthaben verpflichtet. Die Banken werden während der Umstellungsphase zur Begrenzung von Auszahlungen in Euro verpflichtet.

2. Stichtag und Berechnung des Wechselkurses zum Euro

Am Stichtag der Einführung einer neuen Landeswährung werden alle Euro-Salden zu einem Kurs in die neue Währung umgetauscht, der sich aus dem Verhältnis von inländischen zu ausländischen Durchschnittspreisen in Euro eines Warenkorbes herleitet, der alle bisherigen Handelsprodukte (Güter und Dienstleistungen) mit allen anderen Euroländern enthält (für einseitig gehandelte Produkte können Schätzpreise eingesetzt werden; subventionierte Preise werden entsprechend nach oben angepasst). Der so berechnete Umtauschkurs ist zugleich der Wechselkurs zwischen neuer Landeswährung und Euro. Dieser Kurs dient dem Handel mit Ländern, die vorläufig noch in der Eurozone verbleiben.

Notfalls kann der aus den Warenkörben ermittelte Kurs einvernehmlich vorübergehend gestützt werden, um eine zu starke Abwertung gegenüber Euro und Dollar zu vermeiden, so dass Importe bezahlbar bleiben und Fremdwährungskredite bedient werden können, bis die eigenen Strukturen erneuert sind und ausgewogene Zahlungsbilanzen erzielt werden (siehe auch unten Ein europäischer »Marshallplan«).

3. Berechnung der Wechselkurse zu anderen Landeswährungen

Sobald mehrere Länder aus dem Euro ausgetreten sind, werden die bilateralen Wechselkurse zwischen den neuen Landeswährungen über bilaterale Warenkörbe ermittelt, in die alle voraussichtlich bilateral zu handelnden Güter und Dienstleistungen eingehen. Diese Wechselkurse werden im Rahmen der außenwirtschaftlichen Steuerung regelmäßig den tatsächlichen Warenkörben und den Preisentwicklungen in Landeswährung angepasst. So können vor allem die zuvor nicht wettbewerbsfähigen Euroländer untereinander gewinnbringenden Handel treiben, ohne ihre Wechselkurse künstlich auf- oder abzuwerten.

4. Außenhandel auf der Grundlage relativer Preise

Die Berechnung der Wechselkurse aus den Durchschnittspreisen bilateraler Warenkörbe – also ohne Verzerrungen durch spekulativen Devisenhandel – schafft die Grundlage für einen internationalen Handel mit relativen Preisen, der gegenseitige Handelsgewinne auch zwischen Ländern mit unterschiedlichen Preis- und Produktivitätsniveaus ermöglicht. Produkte, deren Preise im Verhältnis zum Durchschnittspreis in Landeswährung niedriger sind als beim Handelspartner, haben einen relativen Preisvorteil und sind natürliche Exportkandidaten. Diese Produkte können vom Handelspartner bei Anwendung des Wechselkurses zu Preisen importiert werden, die unterhalb der Preise der gleichartigen einheimischen Produkte liegen. Die jeweilige Preisdifferenz kann vom importierenden Land als Handelsgewinn verbucht werden. Um Verdrängungen zu vermeiden und Importe in den Binnenwettbewerb konstruktiv einzubinden, sollten Länder vereinbaren, Zölle und Handelskontingente autonom festzulegen. Einseitig gehandelte Spezialitäten, die naturgemäß zu relativ hohen Preisen importiert werden müssen, können gezielt subventioniert werden, so dass sie zwar erschwinglich sind, aber zugleich Anreize schaffen, in die nicht beherrschten Technologien zu investieren. Dieser Mechanismus induziert Technologietransfers und sorgt für ständigen Fortschritt.

5. Außenhandel mit Dienstleistungen, speziell Tourismus

Dienstleistungen, einschließlich Tourismus, sind Teil des Außenhandels mit relativen Preisen. In Analogie zu Zöllen und Handelskontingenten können Länder Geldsorten für Touristen mit Kursaufschlägen verteuern und Auslandsreisen begrenzen, um die eigene Tourismusindustrie vor Verdrängungen zu schützen. Im gegenseitigen Austausch werden auf diese Weise ausgewogene bzw. verträgliche Touristenströme sichergestellt.

6. Umstrukturierung des Bankensektors

Überschuldete Banken werden soweit wie möglich durch die Eigentümer (Aktionäre) und sonstige Kapitalgeber entschuldet; Spareinlagen bleiben verschont; notfalls werden Banken verursachergerecht abgewickelt. Der Bankensektor wird gesetzlich stabilisiert, indem die Geschäfte auf das regionale Spar- und Darlehensgeschäft fokussiert, derivative Finanzinstrumente ohne Versicherungscharakter verboten und die harten Kernkapitalquoten der Banken den verbleibenden Risiken angepasst werden. Im Atienhandel werden Haltefristen von mindestens einem Jahr eingeführt.

7. Aufgabe der nationalen Zentralbanken

Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) mit der EZB im Mittelpunkt wird aufgelöst, und die nationalen Zentralbanken erhalten, nach dem Vorbild der früheren deutschen Bundesbank, geldpolitische Unabhängigkeit, um vorrangig die nationale Geldwertstabilität zu sichern. Die Tilgung der Verbindlichkeiten nationaler Zentralbanken aus dem ESZB (Target2-Salden) können im Staatenbund verhandelt werden. Der europäische »Marshallplan« (siehe unten) kann verschuldete Länder während der Übergangszeit mit Devisen versorgen.

8. Kapitalverkehrskontrollen und Staatsanleihen

Der Kapitalverkehr mit dem Ausland wird auf volkswirtschaftlich sinnvolle Zwecke und Mengen begrenzt und entsprechend kontrolliert. Staatsanleihen werden nur noch den eigenen Bürgern angeboten, um Auslandsverschuldung zu vermeiden und die Geldkreisläufe im Inland zu stärken.

9. Austritt aus der Welthandelsorganisation (WTO)

Alle EU-Länder treten aus der Welthandelsorganisation aus, um das multilateralistische Regime der Organisation einschließlich ihrer Doktrin des vollständig zu deregulierenden Welthandels innerhalb Europas zu beenden, weitere Verheerungen abzuwenden und ihre Ökonomien innerhalb des europäischen Staatenbundes souverän und autonom zu regeln und zu steuern (siehe auch Welthandelsorganisation WTO).

10. Regelung des Außenhandels mit dem Dollarraum

Nachdem der Außenhandel im europäischen Staatenbund einheitlich geregelt ist, können die EU-Länder in gemeinsamer Initiative Handelsvereinbarungen mit außereuropäischen Ländern treffen, um auch mit diesen Ländern bilaterale Wechselkurse für einen Handel auf der Grundlage relativer Preise einzuführen. Es steht den außereuropäischen Ländern selbstverständlich frei, daneben oder ausschließlich weiterhin im Dollarraum auf der Grundlage absoluter Preisvorteile Handel zu betreiben. Wettbewerbsschwache Länder werden allerdings die Vorteile eines Handels mit relativen Preisvorteilen schnell erkennen, und wettbewerbsstarke Länder werden früher oder später nachziehen.

11. Ein europäischer »Marshallplan«

Für die Zeit des Übergangs werden für die durch den Euro benachteiligten Länder von den finanzstarken Ländern gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Mittel für einen europäischen »Marshallplan« bereitgestellt. Die Mittel dienen der mittelfristigen preislichen Abfederung von Importen und der umfassenden Unterstützung beim Aufbau vielfältiger Wirtschaftsstrukturen und beim Wiederaufbau verdrängter Industrien. Ziel ist, Ländern eine Vielfalt an Strukturen zu verschaffen, die sie gegen Erpressungen von außen schützen und einen intensiven Intra-Branchenhandel mit relativen Preisen ermöglichen. Der »Marshallplan« gründet auf der Überzeugung, dass seine Mittel, im Gegensatz zu den Euro-Rettungsmaßnahmen, eine optimal rentable Zukunftsinvestition für ganz Europa sind. Die spätere Tilgung empfangener Hilfsmittel kann im Staatenbund ebenfalls verhandelt werden.

12. Die spezielle Lage der wettbewerbsfähigen Länder

Sobald die Eurozone auf die wettbewerbsfähigen Länder Deutschland, Österreich, Niederlande und Finnland geschrumpft ist, könnten diese Länder entweder gemeinsam im Euro bleiben und müssten sich dann logischerweise in Richtung eines Bundesstaates weiterentwickeln, oder sie setzen die Auflösung fort, wie oben als bessere Alternative vorgeschlagen, bis Deutschland als letztes Land im Euro bleibt. Bei dieser – ökonomisch vernünftigeren – Variante könnte Deutschland sich für den Euro als nationale Währung entscheiden, was einfacher wäre, als die D-Mark wieder einzuführen. Für eine längere Übergangszeit müsste das Land allerdings im globalen Handel auf der Grundlage absoluter Preisvorteile in Dollar engagiert bleiben und mit willigen Ländern behutsam den Übergang zu einem Handel mit relativen Preisvorteilen gestalten. Um eine unkontrollierte Aufwertung seiner nationalen Währung zu verhindern, müsste Deutschland seinen grenzüberschreitenden Kapitalverkehr, besonders während des Übergangs, strikt kontrollieren.

Für alle Länder gilt mittel- und langfristig:

Entscheidend für den Erfolg des Übergangs ist die Gestaltung des Außenhandels auf der Grundlage relativer statt absoluter Preisvorteile, speziell die Ermittlung der Wechselkurse aus bilateralen Handelswarenkörben ohne Verzerrungen durch spekulativen Devisenhandel. Dies setzt bilaterale Handelsvereinbarungen voraus. So wird der ansonsten für Importe negative Effekt der Abwertung nationaler Währungen gegenüber dem Rest-Euro und dem Dollar, der die meisten Länder trifft, abgemildert. Mit kalkulierten Wechselkursen können Länder trotz unvermeidlicher Abwertung die meisten Produkte schon anfangs zu erträglichen Preisen importieren. Erleichterung verschafft in der Anfangsphase zudem der europäische »Marshallplan«, während die Länder mittel- und langfristig ihre verdrängten Industrien ohne Exportdruck von außen neu aufbauen können.

Hinweis zur COVID-19-Pandemie

Die Pandemie hat die wesentlichen Schwächen der neoliberalen Wirtschaftsordnung für jeden fühlbar offengelegt, vor allem den Mangel an medizinischen, aber auch anderen Produkten, der durch Unterbrechungen der völlig irrwitzig vernetzten Wertschöpfungs- und Lieferketten weltweit bedingt ist.

Die Analysen des neoliberalen Systems sowie die darauf aufbauenden Prinzipien und praktischen Vorgehensweisen zum Aufbau eines zukunftsfähigen Systems, die das vorliegende Kompendium präsentiert, erhalten durch das Coronavirus eine unerwartete Aktualität. Jetzt gilt es, die Chance zu nutzen und wirtschaftspolitischen Druck aufzubauen, um die Entwicklung einer nachhaltig auf gesellschaftliche und ökologische Wohlfahrt gerichteten Wirtschaftsordnung durchzusetzen.

Der nachfolgende Artikel verweist dazu auf die im Kompendium enthaltenen zielgerichteten Argumente: COVID-19 und Globalisierung
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Quellen

  1. eurostat: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/eurostat/home/
  2. EFSF: http://www.efsf.europa.eu/about/operations/index.htm
  3. ESM: http://www.esm.europa.eu/about/assistance/spain/index.htm
  4. EZB: http://www.ecb.int/ecb/html/index.de.html
  5. Bundesbank: http://www.bundesbank.de

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