Wirtschaftliche Subsidiarität

Selbstbestimmung durch dezentrale Strukturen

Ein Artikel im Kompendium der marktwirtschaftlich-sozialökologischen Ökonomik

Zentrale Fragen angesichts der neoliberalen Krise:
Wie sind Beschäftigung und faire Einkommen zu sichern?
Wie kann die Umwelt effektiv geschützt werden?
Wie ist die wirtschaftliche Globalisierung zu gestalten?
Welchen Beitrag kann die Wirtschaftswissenschaft leisten?
Welche Aufgaben muss die Wirtschaftspolitik wahrnehmen?
Wie ist die Wirtschaftspolitik demokratisch zu legitimieren?

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Inhaltsverzeichnis

  1. Überblick
  2. Die historische Entwicklung des Begriffs
  3. Die gesellschaftliche Subsidiarität
  4. Die politische Subsidiarität
  5. Die wirtschaftliche Subsidiarität
  6. Subsidiarität in der Europäischen Union
  7. Subsidiarität in der Marktwirtschaft
    7.1 Subsidiarität des Finanzsektors
  8. Außenwirtschaftliche Schnittstellen

1. Überblick

Das Prinzip der Subsidiarität, das die menschliche Selbstbestimmung und Selbstverantwortung in den Mittelpunkt stellt, wurde ursprünglich nur sozialethisch verstanden, dann aber im 19. Jahrhundert zu einem System gesellschaftlicher und politischer Normen erweitert. Heute wie damals geht es darum, das Prinzip gegen zentralistische Bestrebungen zu verteidigen und durchzusetzen. Durch die von der neoliberalen Globalisierung verursachten Verheerungen erhält die Subsidiarität der politischen und mehr noch die der wirtschaftlichen Strukturen existentielle Bedeutung. Zudem wird erstmals in der Wirtschaftsgeschichte deutlich, dass Wohlstand und Wohlfahrt nur durch das Zusammenwirken von gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Subsidiarität zu erzielen sind.

2. Die historische Entwicklung des Begriffs

SubsidiaritätJPG04Das Prinzip der Subsidiarität stellt die menschliche Selbstbestimmung und Selbstverantwortung in den Mittelpunkt und macht sie zu einem wichtigen Garanten gedeihlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Das Prinzip hat seinen Ursprung in sozialethischem Verständnis. Diesem Verständnis gemäß sollten größere, leistungsfähigere gesellschaftliche oder staatliche Einheiten nur dann unterstützend oder ersatzweise eingreifen, wenn die Kräfte kleinerer, weniger leistungsfähiger Einheiten nicht ausreichten, eine bestimmte Aufgabe der Lebensgestaltung wahrzunehmen. Beispielsweise, wenn Individuen, Familien oder Gruppen mit der Betreuung und Versorgung von Kindern, Alten oder Kranken überfordert waren.

In der Abbildung sind die gesellschaftlichen und staatlichen Einheiten nach ihrer Größe und Leistungsfähigkeit geordnet als Kegel (oder zweidimensional als konzentrische Ringe) dargestellt. Die Aufgaben werden den Einheiten ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend zugewiesen. Jede Einheit ist bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit zunächst zu Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, also zu autonomem Handeln verpflichtet, wird aber, wenn ihre Kräfte nicht ausreichen, von der nächstgrößeren Einheit – vorübergehend – unterstützt, bis sie wieder auf eigenen Füßen steht. So ist sichergestellt, dass alle gesellschaftlichen und staatlichen Aufgaben stets so dezentral wie möglich und mit größter Effizienz dort erledigt und verantwortet werden, wo zwischen den Betroffenen und ihren Anliegen die engste Beziehung besteht.

Anzumerken ist, dass jede subsidiäre Ordnung durch zentralistische Bestrebungen größerer Einheiten gefährdet ist und Gesellschaften dieser Gefahr im eigenen Interesse begegnen müssen.

SubsidiaritätSchum01Im 19. Jahrhundert wurde das Personprinzip, nach dem der Mensch das Maß aller Dinge ist, von der katholischen Soziallehre als Antwort auf Liberalismus und Marxismus mit dem Subsidiaritätsprinzip und dem Solidaritätsprinzip zu einem System gesellschaftlicher Normen und Strukturen weiterentwickelt. Danach ist die Verantwortung für eine Aufgabe der jeweils kleinsten dazu befähigten gesellschaftlichen Einheit zu übertragen. Ergänzend zur Subsidiarität wird die Solidarität als gegenseitige Verpflichtung zwischen jedem Einzelnen und der Gesellschaft verstanden: Der Einzelne unterstützt die Gemeinschaft nach seinen (finanziellen) Kräften und wird dafür im Notfall, wenn seine Kräfte nachweislich nicht ausreichen, von der Gemeinschaft unterstützt. Das System zielte auf eine Entwicklung, die sich auf individuelle Selbstbestimmung und Selbstverantwortung und auf die ungehinderte dezentrale Entfaltung aller individuellen Fähigkeiten gründet und zugleich eine leistungsgerecht-solidarische Verteilung des Wohlstands und allgemeine, zukunftsgerechte gesellschaftliche Wohlfahrt ermöglicht. Das in der Abbildung rot dargestellte Nachhaltigkeitsprinzip geriet erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Für eine ausführliche Darstellung der Voraussetzungen für Wohlstand und Wohlfahrt empfehle ich den Artikel Nachhaltige gesellschaftliche Wohlfahrt.

3. Die gesellschaftliche Subsidiarität

Die Industrialisierung verursachte im 19. Jahrhundert unerträgliche soziale Verwerfungen, nachdem eine lohnabhängige Arbeiterschaft entstanden war, die sozial nicht mehr über Großfamilien, Zünfte oder Gilden abgesi­chert war. Deshalb wurde die im Subsidiaritätsprinzip verankerte Verpflichtung leistungsstarker Institutionen, die individuelle Verantwortung materiell abzusichern, zusätzlich nationalstaatlich-solidarischen Vorsorgesystemen übertragen. Ausgehend von Europa und den USA war diese Vorsorge anfangs auf die Lebensrisiken aus Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unfall und Alter begrenzt und wurde später mit dem Ziel größerer Chancengleichheit um Bildung, In­formation und Kultur erweitert. Heute umfasst sie auch die öffentli­che Infrastruktur, den Natur- und Umweltschutz und als langfristig wirkende Querschnittsfunktion die Grundlagenforschung. Die als öffentliche Daseinsvorsorge bezeichnete Funktion ist für die soziale Gerechtigkeit und den inneren Frieden moderner Gesellschaften unverzichtbar. Allerdings ist seither die Grenze zwischen staatlicher und individueller Verantwortung fließend geworden und bedarf der ständigen politischen Justierung.

4. Die politische Subsidiarität

Die politische Subsidiarität ist im System der katholischen Soziallehre bereits mit angelegt. Allerdings geht es bei der politischen Subsidiarität vorrangig nicht um Unterstützung im Falle fehlender Kräfte einer kleineren, untergeordneten Einheit, sondern um eine sinnvolle, eben subsidiäre Verteilung politischer Macht und politischer Entscheidungsgewalt zwischen den politischen Einheiten bzw. Ebenen.

Die politische Subsidiarität zielt darauf, Entscheidungen jeweils der kleinstmöglichen Einheit zu übertragen, in der das erforderliche Wissen vorhanden ist und die Menschen unmittelbar betroffen sind, so dass sie lernend zum politischen Fortschritt beitragen können und in der Lage sind, die volle Verantwortung für ihre Angelegenheiten zu übernehmen. Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland ist ein Beispiel praktizierter politischer Subsidiarität, dass allerdings durch zentralistische Bestrebungen im Zuge der neoliberalen Globalisierung und der europäischen Integration mehr und mehr ausgehöhlt wird. Zum Beispiel, wenn transnationale Konzerne kommunale Unternehmungen der Wasser- und Energieversorgung übernehmen oder EU-Institutionen in nationale oder kommunale Vollmachten eingreifen. (Für weitere Einzelheiten zu den Themen Globalisierung, Transnationale Konzerne und europäische Integration empfehle ich die Artikel Demokratie und europäische Integration, Politische versus wirtschaftliche Integration, Wirtschaftliche Globalisierung, Transnationale Konzerne, EU: Bundesstaat oder Staatenbund? sowie Freihandelsabkommen EU – USA.

5. Die wirtschaftliche Subsidiarität

Wirtschaftliche Subsidiarität bedeutet, in Analogie zum obigen Kegel der politischen Subsidiarität, dass wirtschaftliche Wertschöpfung, in Abhängigkeit von den produktionstechnischen Anforderungen, jeweils durch die kleinstmöglichen Einheiten erbracht wird. Zum Beispiel können einfache handwerkliche Leistungen in sehr vielen über das Land verstreuten Kleinstbetrieben auf kommunaler/lokaler Ebene erbracht werden, aufwendige industrielle Fertigungen können dagegen an wenigen zentralen Standorten angesiedelt und hochspezialisierte Forschungsprojekte zentral in einem einzigen Labor auf europäischer oder sogar globaler Ebene durchgeführt werden.

Wirtschaftliche Subsidiarität ist nicht mit undifferenzierter wirtschaftlicher Dezentralisierung zu verwechseln, sie erfordert vielmehr einen wirtschaftspolitisch gesteuerten Prozess zur Gestaltung einer sozial und ökologisch verträglichen Hierarchie wirtschaftlicher Produktion im Einklang mit den jeweiligen produktionstechnischen Möglichkeiten. Mit diesem Verständnis steht wirtschaftliche Subsidiarität für dezentrale wirtschaftliche Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, einschließlich der lokalen Verantwortung für Mensch und Natur, und sorgt zugleich für flächendeckende Vielfalt von Produktionstechniken und Produkten.

Wirtschaftliche Subsidiarität erlaubt darüber hinaus horizontalen Wettbewerb zwischen gleichen Produktionstechniken, also innerhalb einzelner Ebenen, sowie vertikalen Wettbewerb zwischen arbeits- und kapitalintensiver Produktion, also zwischen verschiedenen Ebenen. Und vor allem bringt sie das vielfältige Arbeitsangebot der Erwerbsbevölkerung mit der ebenso vielfältigen Arbeitsnachfrage der Unternehmen zur Deckung, so dass allen Bürgern eine selbstbestimmte Teilnahme am Wirtschaftsleben wie auch eine existenzsichernde Teilhabe am Wirtschaftsergebnis zuteil wird. Das heißt: Eine subsidiäre wirtschaftliche Struktur bildet die Grundlage für soziale und ökologische Erträge, die sich konkret in Vollbeschäftigung und Umweltschutz manifestieren.

Subsidiarität07Die Notwendigkeit wirtschaftlicher Subsidiarität ist bisher jedoch in Politik und Wirtschaftswissenschaft wenig beachtet worden. Wenn überhaupt, dann wurde angenommen, die Bildung funktionsfähiger wirtschaftlicher Strukturen sei durch die Bemühungen um politische Subsidiarität und durch den Marktmechanismus ausreichend gewährleistet. Meist wurde sogar auf das Gegenteil hingewirkt, auf wirtschaftliche Konzentration, weil Skalenerträge und Größenvorteile, unter Missachtung negativer sozialer und ökologischer Effekte, mit nachhaltig hoher Produktivität gleichgesetzt wurden

Siehe dazu ergänzend den Artikel Skalenerträge und Produktivität.

SubsidiaritätSchum06Die oben angesprochenen Voraussetzungen für Wohlstand und Wohlfahrt schließen heute das Zusammenwirken aller drei genannten Subsidiaritäten ein: der gesellschaftlichen, der politischen und der wirtschaftlichen Subsidiarität.

Die Nichtbeachtung wirtschaftlicher Subsidiarität erklärt sich aus der historischen Entwicklung: Dezentrale Strukturen waren vor der Industrialisierung aufgrund begrenzter technischer Möglichkeiten noch weitgehend »natürlich« gegeben und bedurften keiner wirtschaftpolitischen Steuerung. Die Auswirkungen des Konzentrationsprozesses, der zu Beginn der Industrialisierung einsetzte, führten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einerseits zu gescheiterten marxistisch-sozialistischen Experimenten und wurden andererseits in den marktwirtschaftlich orientierten Demokratien bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts durch hohe Wachstumsraten und eine erträgliche Verteilung des Sozialprodukts überlagert. Erst als die neoliberale Globalisierung Mitte der neunziger Jahre in ihre heiße Phase trat, haben sich der Konzentrationsprozess und die damit einhergehende flächendeckende De-Industrialisierung bei nachlassendem Wachstum derart beschleunigt, dass die sozialen und ökologischen Verheerungen zum Politikum wurden. Trotzdem mangelt es in Politik und Wirtschaftswissenschaft immer noch an der Einsicht, dass die Ursachen der Verheerungen systembedingt sind.

Zu fordern ist eine dynamische Subsidiarisierung der wirtschaftlichen Strukturen, verbunden mit einem Außenhandel, der sich auf die vielfältige Wertschöpfung dieser Strukturen gründet, sowie eine internationale Zusammenarbeit, in der sich die Subsidiarität grenzüberschreitend fortsetzt. Siehe dazu den Abschnitt Außenwirtschaftliche Schnittstellen unten.

6. Subsidiarität in der Europäischen Union

In der EU wurde mit den 1993 in Kraft getretenen Maastrichter Verträgen eine dem föderalen Prinzip entsprechende Subsidiarität formal etabliert, und zwar in der Absicht, staatliche Entscheidungen möglichst bürgernah zu gestalten und die nationale Identität der Mitgliedsstaaten zu wahren. Im Verfassungsentwurf und im nachfolgenden Reformvertrag der EU (Lissabon-Vertrag) ist das Prinzip nochmals erwähnt, wird aber zugleich durch andere Bestimmungen mehrfach ausgehebelt. Die praktische Umsetzung scheitert zudem an den zentralistischen Bestrebungen und den globalwirtschaftlichen Ambitionen der EU-Bürokratie. Lokale, regionale und nationale Souveränitäten werden durch die demokratisch nicht legitimierte und von den europäischen Verträgen nicht gedeckte Brüsseler Selbstermächtigung immer stärker beschnitten (siehe auch den Artikel Undemokratische EU-Organe). Mit einer Regelungswut, die auch vor dem lächerlichsten Detail nicht zurückschreckt, haben es Europäischer Rat, EU-Ministerrat, EU-Parlament, EU-Kommission, Europäischer Gerichtshof und Europäische Zentralbank inzwischen geschafft, dass mehr als drei Viertel aller national erlassenen Wirtschaftsgesetze bindenden Vorgaben der Gemeinschaft folgen (müssen). Überdies laufen wirtschaftspolitische Vollmachten, die zunächst von der nationalen Ebene an die EU abgetreten oder von der EU eigenmächtig beansprucht werden, umgehend Gefahr, von dort in die unumkehrbaren multilateralistischen Vereinbarungen der Welthandelsorganisation (WTO) oder in Handelsverträge mit anderen Großregionen eingebracht zu werden (ergänzend empfehle ich die Artikel EU: Bundesstaat oder Staatenbund, Welthandelsorganisation (WTO) und Freihandelsabkommen EU – USA).

7. Subsidiarität in der Marktwirtschaft

SubsidiaritätSchum08Dezentrale Verantwortung ist in der Marktwirtschaft sowohl für soziale Gerechtigkeit (wie oben dargestellt) als auch für ökologische Nachhaltigkeit unabdingbare Voraussetzung. In der Praxis wird wirtschaftliche Subsidiarität durch einen ständigen Prozess der Neuaufteilung und Dezentralisierung, der dynamischen Subsidiarisierung unternehmerischer Einheiten mittels steuerlicher Anreize sichergestellt:

SubsidiaritätSchum10Wie in der ersten Abbildung dargestellt, wird in jeder Branche zwischen kapitalintensiven, ausgewogenen und arbeitsintensiven Produktionen unterschieden und die für jeden Typ produktionstechnisch kleinstmögliche Einheit mittels vier Kriterien als Referenzbetrieb definiert (siehe zweite Abbildung). Referenzbetriebe mit kapitalintensiver Produktion werden am höchsten besteuert, arbeitsintensive am niedrigsten, so dass alle Produktionen gleiche Chancen im Wettbewerb haben. Darüberhinaus werden Betriebe, die über die jeweilige Referenzgröße hinauswachsen, progressiv besteuert, so dass für die Unternehmer Anreize für eine Aufspaltung in kleinere Betriebe entstehen (deshalb der Begriff dynamische Subsidiarisierung). Ein Unternehmer darf bei einer Aufspaltung nur einen Betrieb weiterführen und ist gezwungen, den anderen Teil zu veräußern, so dass sich immer wieder neue Chancen für Existenzgründer ergeben. Private Einkommen werden ebenfalls progressiv besteuert, so dass ein großer Anreiz besteht, Erlöse aus Aufspaltungen in produktionstechnischen Fortschritt zu investieren. Bei fortschreitender Produktivität in einer Branche werden die Referenzbetriebe neu definiert.

Wie die erste Abbildung auch zeigt, besteht zu jedem Zeitpunkt innerhalb eines jeden Produktionstyps aufgrund der progressiven Besteuerung ein ausgewogener horizontaler Wettbewerb sowie zwischen den Produktionstypen ein ausgewogener vertikaler Wettbewerb.

Neben einer optimalen Dezentralisierung und Verteilung unternehmerischer Tätigkeit und unternehmerischen Kapitals sorgt der Prozess der dynamischen Subsidiarisierung für eine optimal-leistungsgerechte Gleichverteilung der privaten Einkommen und Vermögen und nähert sich damit dem Wohlfahrtsoptimum. Der Prozess muss fester Bestandteil jeder marktwirtschaftlichen Ordnung sein, weil die Akteure in der Marktwirtschaft ein natürliches Bestreben entwickeln, möglichst viel Macht und Kapital in ihren Händen zu konzentrieren.

Der Prozess der dynamischen Subsidiarisierung muss selbstverständlich alle Wirtschaftssektoren einbeziehen: den Primärsektor mit Landwirtschaft, Handwerk und Kleingewerbe, den Sekundärsektor mit industrieller Produktion sowie den Tertiärsektor mit Dienstleistungen. Innerhalb des Tertiärsektors nimmt der Finanzsektor (die Finanzwirtschaft) eine Sonderrolle ein, weil er alle anderen Sektoren mit Krediten versorgt und damit für die wirtschaftliche Dynamik und den wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt mit entscheidend ist. Einzelheiten des Prozesses der dynamischen Subsidiarisierung finden sich in folgendem Artikel: Besteuerung von Unternehmen.

7.1 Subsidiarität des Finanzsektors

Die Geschäftsbanken des Finanzsektors haben allgemein die Aufgabe, Sparguthaben aller Wirtschaftssubjekte (Darlehensgeber) anzulegen und als verzinste Darlehen an Wirtschaftsunternehmen und Private (Darlehensnehmer) zu vergeben. Dabei fließen die Zinseinnahmen teils den Darlehensgebern und teils den Geschäftsbanken als Gewinn zu.

In einer subsidiär strukturierten Wirtschaft muss der Prozess der dynamischen Subsidiarisierung auch die Geschäftsbanken einschließen, damit auch die Geldkreisläufe der subsidiären Struktur entsprechen. Anders ausgedrückt, damit Darlehensgeber und Darlehensnehmer örtlich möglichst eng verbunden sind, und einerseits die Zinseinnahmen der Darlehensgeber in die lokalen, regionalen und nationalen Wirtschaftskreisläufe als Konsumausgaben und Investitionen zurückfließen und andererseits die durch die Darlehen erhöhte Wirtschaftsleistung der Darlehensnehmer ebenfalls die lokalen, regionalen und nationalen Märkte beflügelt, insbesondere den Arbeitsmarkt.

Das heißt auch, dass die Geschäftsbanken überregional und international nur im Rahmen wirtschaftspolitischer Entscheidungen tätig werden dürfen, hier also Entscheidungen, die sich aus bilateralen und multilateralen Vereinbarungen zwischen Handelspartnern ergeben. Ziel solcher Vereinbarungen muss es sein, grenzüberschreitende Bewegungen von Geldkapital nur dann zuzulassen, wenn sie für alle beteiligten Volkswirtschaften gewinnbringend sind. Dasselbe gilt für internationale Bewegungen von Sachkapital wie etwa die Verlagerung von Produktionseinrichtungen.

Aus dem Gesagten ergibt sich zudem zwingend, dass jeder Währungsraum eine eigene unabhängige Zentralbank haben muss, die im Zusammenspiel mit den Geschäftsbanken für die Geldpolitik zuständig ist, bzw. dass sich supranationale Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) verbieten, weil sie keinem Souverän verpflichtet und somit demokratisch nicht legitimiert sind. Siehe dazu auch den Artikel Geld und Geldpolitik.

Für einen Gesamtüberblick empfehle ich folgende Artikel: Prinzipien regionaler Wirtschaftsordnung, Wirtschaftliche Regionalisierung, Markt und Marktwirtschaft sowie Wirtschaftlicher Wettbewerb).

Alles in allem kann Zukunftsfähigkeit nur erreicht werden, wenn die für gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Subsidiarität notwendigen Strukturen deckungsgleich gestaltet werden, so dass Konflikte zwischen den drei Sphären bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung von vornherein vermieden werden.

Der praktische Aufbau subsidiärer Wirtschaftsstrukturen unter den Bedingungen der neoliberalen Globalisierung als Einstieg in eine post-neoliberale Wirtschaftsordnung wird in dem Artikel Aufbau subsidiärer Wirtschaftsstrukturen behandelt.

8. Außenwirtschaftliche Schnittstellen

SubsidiaritätSchum14Die dynamische Subsidiarisierung der binnenwirtschaftlichen Strukturen kann nur in enger Verbindung mit der Gestaltung außenwirtschaftlicher Schnittstellen erfolgreich durchgeführt werden. Schnittstellen, die gewährleisten, dass die geregelte Entwicklung der Strukturen im Innern nicht durch feindliche Exportstrategien anderer Wirtschaftsräume durchkreuzt wird. Anders ausgedrückt: Die Wirtschaftsordnung eines Wirtschaftsraums muss binnen- und außenwirtschaftlich aus einem Guss sein, um auf dieser Grundlage Handelsvereinbarungen mit anderen Wirtschaftsräumen souverän, also auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln.

Zentrales Element der außenwirtschaftlichen Schnittstellen sind mit Handelspartnern zu vereinbarende bilaterale Wechselkurse, die jeweils das durchschnittliche Gefälle bei Produktivitäten bzw. Preisen neutralisieren, so dass im Schnitt unkontrollierte Verdrängungen von Branchen infolge großer Preisunterschiede praktisch ausgeschlossen sind, ergänzt durch beidseitig autonome Feinabstimmung des Handels mittels Importzöllen und Importquoten, um den Außenwettbewerb konstruktiv in den Binnenwettbewerb einzubinden. Nur unter diesen wirtschaftspolitisch geregelten Bedingungen werden unterschiedlichste Wirtschaftsräume in die Lage versetzt, im Handel miteinander gegenseitig Gewinne zu erzielen.

Für die weiteren Einzelheiten der außenwirtschaftlichen Schnittstellen empfehle ich die Artikel Komparativer Vorteil – aufgewertet und Zukunftsfähiger Außenhandel.

Der Gesamtzusammenhang der wirtschaftspolitischen Erfordernisse ist in aller Kürze in dem Artikel Zehn Gebote der Zukunftssicherung beschrieben.

Hinweis zur COVID-19-Pandemie

Die Pandemie hat die wesentlichen Schwächen der neoliberalen Wirtschaftsordnung für jeden fühlbar offengelegt, vor allem den Mangel an medizinischen, aber auch anderen Produkten, der durch Unterbrechungen der völlig irrwitzig vernetzten Wertschöpfungs- und Lieferketten weltweit bedingt ist.

Die Analysen des neoliberalen Systems sowie die darauf aufbauenden Prinzipien und praktischen Vorgehensweisen zum Aufbau eines zukunftsfähigen Systems, die das vorliegende Kompendium präsentiert, erhalten durch das Coronavirus eine unerwartete Aktualität. Jetzt gilt es, die Chance zu nutzen und wirtschaftspolitischen Druck aufzubauen, um die Entwicklung einer nachhaltig auf gesellschaftliche und ökologische Wohlfahrt gerichteten Wirtschaftsordnung durchzusetzen.

Der nachfolgende Artikel verweist dazu auf die im Kompendium enthaltenen zielgerichteten Argumente: COVID-19 und Globalisierung
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Hier geht’s zur englischsprachigen Version: Economic Subsidiarity

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